Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Jahresfest-Predigten

Predigt zum 188. Jahresfest am 04. Oktober 2025

Pfarrerin Bärbel Koch-Baisch, Schwäbisch Hall

Lukas 17, 21


Liebe Festgemeinde!

188 Jahre Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem, ein Anlass, das Jubiläum mit einem Gottesdienst zu beginnen.
Über so viele Jahrzehnte haben Menschen im Diakonissenhaus Bethlehem Heimat gefunden. Die Gemeinschaften boten und bieten Menschen Raum zum Wohnen, zur Ausbildung, zum Gespräch, zur geistlichen Stärkung durch Andacht und Gottesdienste.
Um Mensch zu bleiben.
Immer war es ein Ort, an den Menschen mit ihren Sorgen und Nöten kommen konnten.
In den Schwestern und Gemeinschaftsmitgliedern fanden und finden sie ein Gegenüber, mit einem offenen Ohr und offenen Herz.
Solche Orte sind nötig. Gerade in unseren Zeiten, in denen sich im Blick in die Welt Hoffnungslosigkeit ausbreitet. Vor 10 Jahren hat die damalige Kanzlerin Angela Merkel im Blick auf Menschen, die bei uns Schutz und Zukunft suchten, Raum zum Leben, gesagt: „Wir schaffen das“.

Heute – 10 Jahre später – reden Politiker von einer Polykrise und immer mehr Leute in unserer Gesellschaft sind unzufrieden, begehren auf, haben Angst. Und auch unter uns Christen stellen viele sich die Frage: Wo ist Gott? Woran merke ich, dass er da ist?
Gerade jetzt, in schwierigen Zeiten, wo Hoffnung brüchig wird und die Zweifel an Gott und seiner Begleitung wachsen.
Was stärkt da unserer Zuversicht und unseren Glaubensmut?

Der Monatsspruch für Oktober sagt uns da kurz und knapp: Das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Was fangen wir mit diesen Worten an? Das Reich Gottes ist mitten unter euch?
Die Worte widersprechen doch aller Realität.
Die Bibel mit ihren beiden Teilen hat uns doch Bilder vom Reich Gottes vor unsere Augen gestellt: Die Klagen sind verstummt. Kinder sterben keinen unzeitigen Tod. Alle haben Heimat und ernten, was sie gepflanzt haben (Jesaja 65). Schwerter und Spieße sind zu Pflugscharen und Sicheln geschmiedet und niemand wird mehr lernen, Krieg zu führen (Micha 4,3).
Das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Unsere Erfahrungen stehen dagegen: Bei uns reden Politiker davon, wie wir „kriegstüchtig“ werden. Menschen erleben Leid und Zerstörung. Nahrung und medizinische Versorgung fehlen. Weltweit sind über 123 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und auf der Flucht. Kinder werden krank und sterben. Menschen müssen mit schweren Diagnosen leben. Unser Klima verändert sich.  Da liegt die Frage doch nahe: Ja, wo ist denn das Reich Gottes? Ja, wann denn endlich?
Jesu Antwort: Das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Offensichtlich ist das Reich Gottes kein abgegrenzter Ort. Das Reich Gottes ist sozusagen interaktiv. Mitten unter euch. Mitten unter uns.
Reich Gottes ereignet sich. Es ist der Raum, in dem Gott wirkt.
Reich Gottes breitet sich aus, wenn Menschen Gott begegnen und sich von ihm ansprechen und beauftragen lassen. Wenn Menschen einander als Menschen begegnen. Wenn Mitgefühl zur Tat wird.
Hier – mitten in unserem Leben 
– ist Reich Gottes.
Wo Menschen einen Anfang schaffen. Einander zu Arbeit und Wohnung, zu Wasser und Land, zu Recht helfen. Einander trösten. Weinen aushalten. Wo Streit beigelegt und Mut gefördert wird.
Das könnte ein Stück vom Himmel, vom Reich Gottes sein. Mitten unter uns.

Es gibt beides in unserem Leben, liebe Gemeinde:
Die Realität des Todes mit all seinen dunklen und fürchterlichen Ausprägungen – und Momente, wo ein Stück vom Himmel, vom Reich Gottes aufleuchtet. Mitten unter uns.
Mir hilfreich ist da ein Bild aus der Theaterwelt. Im Theater gibt es einen dunklen Vorhang, der den weiten, lichtdurchfluteten Bühnenraum verhüllt. Aber an manchen Stellen kann man ahnen, was sich dahinter verbirgt. Manchmal ist durch einen Spalt im Vorhang ein Lichtschein zu sehen.

Es gibt beide Wirklichkeiten. Das Reich Gottes ist mitten unter uns. Wir Menschen bemühen uns. Wir wollen mit unserem Leben Gottes Reich aufleuchten lassen in der Welt. Wir setzen uns füreinander ein. Wir möchten den dunklen Vorhang ein wenig zur Seite schieben. Für uns. Für andere. Doch immer wieder machen wir Erfahrungen, die uns an Gottes Nähe zweifeln lassen. Wenn ich die Nachrichten aus aller Welt lese oder sehe, dann ist mein Eindruck, dass sich der dunkle Vorhang über die ganze Welt gelegt hat. Da hat es auch unser Glaube schwer: Das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Mir persönlich hilft in solch dunklen Situationen die Erinnerung daran, dass es hinter dem Theatervorhang Licht gibt. Da sind die Erinnerungen an Momente, in denen das Reich Gottes aufgeleuchtet ist. Spürbar in der Begegnung mit anderen. Es gibt Erinnerungen an das Licht, auch wenn jetzt gerade in einem überzeugend gespielten Stück alles anders aussieht. In dem, was vor Augen ist, muss ich mich bewusst daran erinnern: Es gibt die andere Welt. Daran halte ich fest. Dafür schärfe ich jetzt meinen Blick. Damit ich in aller Endlichkeit und Schwierigkeit dieser Welt die Ewigkeit und Fröhlichkeit von Gottes Welt aufleuchten sehen kann.

Das alles kann ich nicht allein und nur für mich leben. Ich brauche dazu die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten. Ich brauche die gegenseitige Bestärkung. Den Austausch. Die kritische, offene Begleitung. Den Trost und das Teilen von Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben. Was ihnen hilft zu leben in dieser Welt, in der sich immer wieder dunkle Kulissen vor das Reich Gottes schieben. Ich brauche die Geschichten, die davon erzählen, dass in den dunklen Kulissen dieser Welt immer wieder ein Lichtschimmer von Gottes Reich aufleuchtet – Gott sei Dank.

Bei Jesu Tod ist der Vorhang im Tempel zerrissen. Das stärkt unsere Hoffnung und ist Grund unserer Zuversicht. Einmal wird sein Licht leuchten, vom einen Ende des Himmels bis zum anderen. Bis es soweit ist, schaffen wir Räume, in denen Gott und sein Reich sein kann. Platz findet. Räume im ganz buchstäblichen Sinn: Räume mit Wärme für Seele und Haut und Füße im Winter, auf den wir zugehen.
Oder in den Begegnungscafés und Mittagstischen, wo jeder kommen kann und jede willkommen ist. Räume aus Gebeten, aus Liedern und Gottes Wort, in denen Trost wachsen kann, Zuversicht und Mut. Räume, in denen wir Frieden leben, in der Gemeinschaft, in der Schule, in der Nachbarschaft, am Ausbildungs- und Arbeitsplatz und in der Familie. Räume, in denen Menschen Hilfe erfahren. Gesehen werden. Geachtet in ihrer Andersartigkeit. In freundlichen Begegnungen. Im Teilen von Lebenszeit. Von Brot und Wein. Räume in denen sie ein offenes Ohr und Herz finden.

Gott traut es uns zu. Er traut Menschen, die Sprünge und Risse in ihrem Leben haben. Sie sind die Stellen, durch die das Licht durchdringt. Mit solchen Menschen hat Gott etwas vor. Wo ist Gott in schwieriger Zeit? Wie kann ich ihn wiederfinden? So fragen wir uns und viele mit uns.

Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Martin Luther hat das so übersetzt: Das Reich Gottes ist inwendig in euch. Ihm war wichtig, das zu betonen: Jeder, jede kann Gott finden, ohne Umwege und ohne besondere Vorleistung. Das Reich Gottes ist inwendig in euch. In manchen Augenblicken spüren wir nichts davon. Erst im Zurückschauen sehen wir die Spuren Gottes in unserem Leben. War er die Kraft, die dann doch gereicht hat? War seine Stimme in den Worten der Freundin verborgen, die Trost und Rat wusste? War da nicht sein Wort, das nährte und Kraft gab für lange Zeit: Fürchte Dich nicht. Ich werde bei dir sein.  Ich glaube: In der Sehnsucht, dass Gott da ist, ist Gott auch. Gott ist mitten in dem Gefühl, dass er fehlt, mitten in dieser Sehnsucht. Er lässt sich überraschend finden, in der Stille einer leeren Kirche, im Zusammensein mit Lieblingsmenschen, im Klopfen des Regens, in der kalten Klarheit des Herbstmorgens, selbst in den Nebelwolken.

Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Gott ist da, wo man ihn einlässt. Gott lässt es wachsen und leuchten in Räumen, die Menschen öffnen. Räume für andere, für die, denen es kalt geworden ist im Leben, im Herzen und auf der Haut. Raum für Hoffnungstaten und Freundlichkeit, fürs Aussprechen und Angstgestehen, für Trotzlieder und Mutgedanken. Es legt Spuren in unser Leben, die wir lesen und deuten können: Da war Gott da. Und da auch. Da war er die Brise Rückenwind. Da war er in der Hand auf meiner Schulter. Da war er in dem Wort, das mich satt gemacht hat, das gereicht hat für lange Zeit.

Liebe Gemeinde, 188 Jahre Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem.
Diakonissenhäuser sind nicht per se das Reich Gottes. Aber offensichtlich sind Diakonissenhäuser Räume, in denen etwas davon aufgeleuchtet ist und aufleuchten kann. So, dass Menschen etwas von Gottes Licht spüren in diesen Räumen, bis heute.

Möge es solche Orte – in aller Veränderung – auch weiterhin geben.
Orte, an denen Menschen erleben: Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Gott ist da. Amen.

Coypright Diakonissenhauses Bethlehem, Karlsruhe
Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem, Karlsruhe-Nordweststadt
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