Kirchenrätin Sabine Kast–Streib, Karlsruhe
Liebe Hausgemeinde hier in Bethlehem, liebe Schwestern und Brüder,
„Herr Deine Güte reicht, soweit der Himmel ist – und deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen.“
Wunderbar sind wir durch den Chor der Schwestern eingestimmt worden auf den 36. Psalm, aus dem uns die Verse 6 und 10 bei dieser Jahresfestpredigt begleiten.
Der Reichtum der Güte Gottes – so wird dieser Psalm auch überschrieben.
Gottes Güte und Treue – so lautet im hebräischen Text, was Luther mit „Wahrheit“ übersetzt – feiern wir heute. Mit Musik und Gottes Wort, mit Liedern und Gebeten. Wir danken Gott, dass wir das Jahresfest in Bethlehem heute wieder in großer Gemeinschaft – präsentisch und digital – begehen können. Und Sie können hoffentlich auch auf das vergangene Jahr zurückschauen und sagen: hier hat uns Gott begleitet mit seiner Güte und Treue, da hat er uns getragen und bewahrt. Vielleicht haben Sie das im persönlichen Glauben und Erleben erfahren. Oder durch andere Menschen, die Ihnen in der Zeit der Lockdowns, in Quarantäne und Krankheit zu Engeln geworden sind, die getröstet und geholfen haben, von Gott gesandt, wie Schwester Hildegund in ihrem Ostergruß geschrieben hat: Mitbewohnerinnen und Mitarbeiter, Nachbarn, Gemeindeglieder, Familienangehörige und Freunde aus dem großen Freundeskreis von Bethlehem.
Pfarrerin Annegret Lingenberg, Karlsruhe
Den „Weg der Gerechtigkeit“, den Weg des Lichts und der Liebe – das, liebe Schwestern und Brüder, war es wohl, was der junge Mann suchte, als er sich vertrauensvoll an Jesus wandte. Und er musste lernen, dass es für diesen Weg kein Patentrezept gibt. Es ist gut, die Gebote zu achten und zu halten. Aber die Antwort auf seine Sehnsucht, für die Jesus „ihn lieb gewann“, ist mehr als das Einhalten und zufriedene Abhaken von Geboten. Das spürt der junge Mann; und das macht ihn so sympathisch.
Der Weg, den Jesus ihm zeigt, ist so etwas wie eine Ganzhingabe, ohne die Angst, etwas zu verlieren, sondern im vollen Vertrauen, durch die Hingabe alles zu gewinnen, alles, das Reich Gottes!
Einen solchen Weg haben Sie, liebe Schwestern eingeschlagen, als Sie sich als Diakonissen haben einsegnen lassen. Es ist der Weg auch anderer Ordensgemeinschaften. Es ist aber auch der Weg von Eheleuten, die sich mit der Heirat „auf Gedeih und Verderb“ aufeinander einlassen, liebend und vertrauend!
Es ist der Weg der Offenheit hin auf Zukunft, ohne die Vergangenheit festhalten zu wollen. Es ist das Loslassen von vermeintlichen Sicherheiten, die doch keine Sicherheiten sind. Es ist der Schritt in eine Freiheit in der alleinigen Bindung an Gott, ein Schritt in volles Risiko, ein Schritt, der nur gelingen kann im liebenden Blick auf Gott und auf unseren Mitmenschen. Freiheit in Verantwortung – so nennen wir das heute.
Pfarrerin Isolde Schäfter, Karlsruhe
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn und Bruder Jesus Christus. Amen.
Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth: Lasst die Gnade, die Gott euch schenkt, in eurem Leben nicht ohne Auswirkungen bleiben. Gott sagt ja: „Als es Zeit war, dir meine Gnade zu erweisen, da habe ich dich erhört, als der Tag der Rettung kam, habe ich dir geholfen“. Seht doch: jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist die Zeit des Heils / der Rettung.
Liebe Jahresfestgemeinde,
„Jetzt!“, „jetzt ist die Zeit!“ Wie oft am Tag sagen Sie dieses kleine Wort? Und wie klingt dieses kleine Wort „jetzt“ in ihren Ohren?
Endlich – Das lange Warten hat ein Ende, jetzt ist der Geburtstag endlich da, so habe ich das bei meinen Töchtern oft erlebt.
Ermutigend – Auf! Macht euch auf den Weg! Jetzt!
Bedrängend – Jetzt ist die Zeit! Jetzt tut endlich was! Morgen ist es zu spät. Wie die jungen Leute von Fridays for Future zum Problem der Klimaerwärmung.
Wofür ist jetzt Zeit? Gut zwei Monate vor dem Ende des Jahres 2019.
Wofür ist jetzt Zeit – im Mutterhaus Bethlehem, in unserer Fachschule, in unserer Stadt, in unserer Kirche, in unserem Land und in der Welt?
Wofür ist jetzt Zeit in meiner Familie, für mich, für mein Leben?
Pfarrer Theo Berggötz, Karlsruhe
Liebe Schwestern, liebe Festgemeinde,
heute auf den Tag genau sind es 50 Jahre, dass hier die Einweihung des neuerbauten Diakonissenhauses Bethlehem in der Nordweststadt Karlsruhe gefeiert wurde. Es war der 13. Oktober 1968. Damals wurde das 131. Jahresfest begangen. Ein halbes Jahrhundert mit all seinen Entwicklungen und Veränderungen, mit seinen Chancen und Belastungen und Herausforderungen liegt zwischen damals und heute. So feiern wir heute das 181. Jahresfest. Selbst die Ältesten unter uns können gerade mal die Hälfte dieser langen Zeit des Diakonissenhauses Bethlehem mit ihrer Lebenszeit abbilden. Was für eine reiche und schwere, belastete und gesegnete Zeit!
Da halten wir inne und wir feiern. Und wenn Christen feiern, dann danken sie Gott, dem himmlischen Vater, und ihrem Herrn Jesus Christus, dem König ihrer Herzen. So bedenken wir jetzt staunend den Psalmvers 103,2:
Lobe den HERRN meine Seele und vergiss nicht, was er Dir Gutes getan hat.
Nicht vergessen! Das heißt: aufmerksam leben und erinnern.
Oberkirchenrat Dr. Matthias Kreplin, Karlsruhe
Liebe Schwestern und Brüder,
in der Vorbereitung zum heutigen Gottesdienst habe ich in der Festschrift zum 175-jährigen Jubiläum des Diakonissenhauses Bethlehem geblättert und gelesen. Mit vielen Bildern wird dort eine große Geschichte erzählt: von den kleinen Anfängen, über die verschiedenen Erweiterungen und den großen Aufschwung der Diakonissenbewegung im 19. Jahrhundert, von den Notzeiten der Kriege, von den großen Baumaßnahmen in den 60-er und 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts, von den Veränderungen in der Arbeit des Mutterhauses, vom Rückgang beim Nachwuchs bei den Diakonissen, von den Aufgaben der Gegenwart.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht beim Rückblick auf diese große Geschichte des Mutterhauses und der Diakonissenbewegung. Aber es könnte sein, dass im Blick auf die 180jährige Geschichte des Diakonissenhauses Bethlehem der Gedanke aufkommt, dass die große Zeit des Diakonissenhauses hinter uns liegt, dass nur noch eine Zukunft des Abschieds, der Auflösung, des Endes vor uns liegt, weil es keine jungen Frauen mehr gibt, die die Arbeit fortführen, weil Kirche insgesamt nicht mehr die Stellung in der Gesellschaft hat wie noch vor zwei Generationen. Es könnte sein, dass uns dabei ein Gefühl ergreift, wie manchem betagten Menschen, dem die Endlichkeit des Lebens bewusst wird: das Gefühl, dass die beste Zeit des Lebens vergangen ist und dass vor uns nur Zeiten der Traurigkeit und des Schmerzes liegen. Es könnte sein, dass sich angesichts von Vergänglichkeit und Endlichkeit Niedergeschlagenheit und Depression breit machen.
Dekan Dr. Thomas Schalla, Karlsruhe
Liebe Gemeinde,
Penunse, Knete, Kohle, Ocken, Moos, Mäuse, Piepen, Zaster – Reichtum hat viele Namen und ist sehr unterschiedlich verteilt. Bill Gates hat davon 72, 7 Mrd. US-Dollar: das entspricht etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Aserbaidschan. Noch eine Zahl: Nach Berechnungen aus dem Jahr 2014 verfügen die reichsten 85 Menschen über so viel Geld wie die ärmere Hälfte der Erdbevölkerung zusammen.
Die Verteilung des Reichtums ist auch in Deutschland nicht gerechter. Es gibt eine ganze Reihe von Statistiken, die sich damit beschäftigen. Auf der Liste der 500 reichsten Deutschen stehen zwar z.B. die BMW-Erben oder die Aldi-Brüder – das Haus Bethlehem befindet sich aber nicht darunter.
Dabei hat das Diakonissenhaus Bethlehem durchaus etwas mit Reichtum und Armut zu tun. Die Anfänge der Arbeit in Karlsruhe sind aus der Begegnung mit der großen Armut der Kinder der Industrialisierung entstanden. Und auch wenn das Haus nicht unter den Reichen der Welt verzeichnet ist, so hat der biblische Auftrag, den Ärmsten zu helfen, in den zurückliegenden 179 Jahren ein großes und gesegnetes Werk hervorgebracht. Ich könnte auch sagen: Mit Gottes Hilfe ist hier ein Reichtum angesammelt worden, der ganz anderen Gesetzen unterliegt und der in keiner der Reichtums-Statistiken aufgeführt ist.
Das Jahresfest ist eine gute Gelegenheit, sich über diesen Reichtum zu freuen. Ich möchte das tun, indem ich uns das biblische Wort für den morgigen Sonntag sagen lasse. Es steht im Brief des Paulus an die Philipper:
Oberkirchenrat Helmut Strack, Karlsruhe
Worauf kann ich mich noch verlassen – in einer Welt, die so durcheinander geraten ist?
Woran soll ich mich orientieren – in einer Welt, die so unübersichtlich geworden ist?
Was kann meinem Leben Halt geben – in einer Welt, die in vieler Hinsicht bodenlos geworden ist?
Viele Menschen fragen so oder so ähnlich. Wer so fragt, sucht nach verlässlichen Antworten; drückt seine Sehnsucht danach aus, etwas oder jemandem voll und ganz vertrauen zu können; will Gewissheit im Leben, wo es Sicherheit nicht gibt. Wer so fragt, möchte sagen können: „Ich glaube, dass …“
Wenn Glauben heißt: vertrauen, dann gehört die Vertrauensfrage zu den brisantesten Fragen unserer Zeit. Worauf ich vertraue oder woran ich glaube, das hat viel zu tun mit meinen Lebenserfahrungen, mit meinen Ängsten und Hoffnungen, mit meinem Herkommen und Gewordensein. Da spielen Eltern, Großeltern, Geschwister und Freunde eine Rolle oder auch Gemeinschaften wie diese Diakonissengemeinschaft, Gemeinschaften, in denen ich Geborgenheit erfahre, Beheimatung; in denen das Gespräch über zentrale Lebensfragen möglich ist; in denen ich gemeinsame Erfahrungen, auch Erfahrungen des Glaubens, machen kann.
Kirchenrat Hans-Martin Steffe, Karlsruhe
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern vom Haus Bethlehem,
„Du bist ein Königskind, dessen Wege heilig sind,
dessen Würde ewig besteht, in dem der König lebt.“
So ein Lied, das Frieder Gutscher geschrieben hat. Und das passt gut zur fortlaufenden Bibellese aus dem Buch Ester. Und ich finde auch zu Ihnen, den Schwestern vom Haus Bethlehem.
„Du bist ein Königskind, dessen Wege heilig sind,
dessen Würde ewig besteht, in dem der König lebt.“
Und darum habe ich das Kapitel 5 aus der fortlaufenden Bibellese für den heutigen Gottesdienst als Predigttext genommen.
Zum Hintergrund: Es geht um eine junge jüdische Frau: Ester. Ester ist Königin von Persien geworden. Von ihrer Herkunft her war sie ein unbekanntes jüdisches Mädchen. Sie hat weder Vater noch Mutter. So wird es von ihr erzählt. Eines der Waisenkinder. Das ist bedrückende Wirklichkeit für viele Flüchtlingskinder. Gesorgt hat für sie ein Verwandter ihres Vaters. Der Jude Mordechai, ein Angestellter am persischen Königshof. Der ist ihr zum Pflegevater geworden. Der hat sich rührend um sie gekümmert. Das können Sie nachlesen in den vorhergehenden Kapiteln. Als sie ein Jahr lang für eine besondere Erziehung in einem Frauenhaus lebte, kam Mordechai täglich und hat sich erkundigt, ob es ihr gut geht.
Pfarrer Wolfgang Scharf, Karlsruhe
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen!
Liebe Gemeinde!
Was sind Schätze, die nicht von den Motten und dem Rost gefressen werden, Schätze, die keine Diebe zum Einbruch und stehlen verlocken?
Ich nehme Sie zur Beantwortung dieser Fragen zunächst auf eine Reise mit nach New York, eine Reise, die ich gestern in der Frühe selbst bei einer Andacht von Pfarrer Christoph Seidl aus Regensburg antreten durfte.
‚Zwei Stühle, die sich an einem Tisch gegenüberstehen. Auf dem einen sitzt eine Frau, auf den anderen kann man sich als Passant hinsetzen und der Frau in die Augen schauen – oder sich von ihr in die Augen schauen lassen. Hunderte von Menschen haben es vor drei Jahren ausprobiert, über 90 Tage hinweg, immer dieselbe Frau. Die Frau ist Künstlerin. Sie heißt Marina Abramovic und stammt aus Belgrad. Vor drei Jahren fand im Rahmen einer großen Ausstellung ihres Werkes im New Yorker Museum of Modern Art auch diese Performance statt unter dem Titel „The Artist is present“. Einfach nur anwesend sein, sich anschauen, das würdigen, was ist, dem Menschen Ansehen geben. Hunderte Besucher, jeden Morgen eine nochmal längere Schlange von Menschen, die bereit waren, stundenlang zu warten, bis sie der Künstlerin persönlich in die Augen schauen durften. Viele fingen an zu weinen, als es soweit war, manche berichteten danach von einer Erfahrung, die ihr Leben verändert hat.’
Was ist es, das Menschen veranlasst in dieser von Schnelligkeit pulsierenden Stadt, einer Stadt in der man normalerweise keine Zeit hat, stundenlang auf diesen persönlichen ‚Augen–Blick’ zu warten? Offensichtlich ist er wertvoll dieser ‚Augen–Blick’. Ein ‚Augen–Blick’, der in die Begegnung von Mensch zu Mensch führt.
Landesbischof Dr. Ulrich Fischer, Karlsruhe
Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Schwestern, liebe Festgemeinde,
„dienet dem Herrn mit Freuden“ - seit nunmehr 175 Jahren begleitet dieses Wort aus dem 100. Psalm die Geschichte der hiesigen Schwesternschaft sozusagen als cantus firmus. Zum Eingang des Gottesdienstes haben wir diesen Psalm miteinander gebetet und eben seine Vertonung aus dem Becker-Psalter gesungen. „Dienet dem Herrn mit Freuden“. Dieses Psalmwort, dieser cantus firmus eines Gott geweihten Lebens, hat der Schwesternschaft immer wieder in Erinnerung gerufen, dass sie eine Dienstgemeinschaft ist und sein soll.
Ob das Dienen in dieser Gemeinschaft wirklich dabei immer mit Freuden geschah, werden die Schwestern besser beurteilen können als wir mehr Außenstehenden. Aber in jedem Fall hat die Schwesternschaft als Dienstgemeinschaft 175 Jahre lang der Kirche und der Gesellschaft ein Beispiel des Dienens gegeben.
Sie hat dies vor allem getan im aufopferungsvollen Dienst an Kindern und Jugendlichen. In dieser Schwesternschaft, seit 1968 im hiesigen Haus Bethlehem, entwickelte sich das Dienen von der Arbeit in der Kleinkinderbewahranstalt über die Begleitung von Kindern in Kindergärten und Schülerhorten bis hin zur Ausbildung von Erzieherinnen in der Fachschule. Aber auch der Dienst an Kranken, Pflegebedürftigen und Alten hat den Dienst dieses Mutterhauses geprägt.