Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Jahresfest-Predigten

Predigt zum 179. Jahresfest am 22. Oktober 2016

Dekan Dr. Thomas Schalla, Karlsruhe

Philipper 3, 1 – 11


Liebe Gemeinde,

Penunse, Knete, Kohle, Ocken, Moos, Mäuse, Piepen, Zaster – Reichtum hat viele Namen und ist sehr unterschiedlich verteilt. Bill Gates hat davon 72, 7 Mrd. US-Dollar: das entspricht etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Aserbaidschan. Noch eine Zahl: Nach Berechnungen aus dem Jahr 2014 verfügen die reichsten 85 Menschen über so viel Geld wie die ärmere Hälfte der Erdbevölkerung zusammen.
Die Verteilung des Reichtums ist auch in Deutschland nicht gerechter. Es gibt eine ganze Reihe von Statistiken, die sich damit beschäftigen. Auf der Liste der 500 reichsten Deutschen stehen zwar z.B. die BMW-Erben oder die Aldi-Brüder – das Haus Bethlehem befindet sich aber nicht darunter.
Dabei hat das Diakonissenhaus Bethlehem durchaus etwas mit Reichtum und Armut zu tun. Die Anfänge der Arbeit in Karlsruhe sind aus der Begegnung mit der großen Armut der Kinder der Industrialisierung entstanden. Und auch wenn das Haus nicht unter den Reichen der Welt verzeichnet ist, so hat der biblische Auftrag, den Ärmsten zu helfen, in den zurückliegenden 179 Jahren ein großes und gesegnetes Werk hervorgebracht. Ich könnte auch sagen: Mit Gottes Hilfe ist hier ein Reichtum angesammelt worden, der ganz anderen Gesetzen unterliegt und der in keiner der Reichtums-Statistiken aufgeführt ist.
Das Jahresfest ist eine gute Gelegenheit, sich über diesen Reichtum zu freuen. Ich möchte das tun, indem ich uns das biblische Wort für den morgigen Sonntag sagen lasse. Es steht im Brief des Paulus an die Philipper:

Phil. 1, 3-11
Ich bete aber darum, dass eure Liebe immer reicher wird – der Apostel schreibt an seine erste Liebe. In der mazedonischen Distrikthauptstadt Philippi hat er die erste christliche Gemeinde der Welt gegründet. Und wie bei der ersten Liebe auch noch heute: man vergisst das nicht. Sie bleibt etwas Besonderes. Paulus hat immer wieder Kontakt zur Gemeinde gehabt und war den Christen in Philippi besonders verbunden. Die Gnade spielt im Brief eine große Rolle und ist wohl auch ein Hinweis darauf, wie er diese Beziehung gesehen hat: als Gnade und als ein Geschenk Gottes.
Die Liebe der Christen in Philippi soll reicher werden. Es ist Reichtum der besonderen Art, den Paulus hier im Blick hat. Es ist derselbe Reichtum, den Generationen von Schwestern, Ausbilder, Erzieherinnen und Erzieher im Evangelischen Diakonissenhaus Bethlehem vermehrt haben.
Der Reichtum der Liebe soll sich aber gleichwohl zunächst wie Reichtum Bill Gates verhalten: er soll wachsen. Die Gemeinde in Philippi ist aus wenigen ersten Begegnungen entstanden und der Geist Gottes hat immer wieder neue Menschen zur Gemeinde hinzugefügt. Und die Arbeit hier ist ebenfalls gewachsen: Aus den Anfängen der Arbeit von Henriette Frommel ist ein Liebeswerk geworden, das die Liebe Gottes ausschüttet an die Menschen. Und ganz nebenbei wirft es auch ganz materiell Gewinne ab.
Die Liebe Gottes zu seinen Menschen ist dynamisch. Sie bewegt die Welt seit den ersten Tagen, als der Geist Gottes über den Wassern schwebte. Sie bewegt Menschen seit den Tagen der Propheten und nimmt sie hinein in die Geschichte Gottes mit seiner Welt. Die Liebe Gottes wächst und kommt den Menschen immer näher; so nah, dass einstmals niemand mehr sich allein fühlen muss. Die Menschen hier im Haus Bethlehem sind mitten drin in dieser Geschichte Gottes.
Wer Geld hat, will auch wissen, wie viel er davon in der Tasche hat. Auch Paulus gibt uns im Bibelwort Hinweise, wie wir unseren Reichtum messen können. Mathematik braucht man dafür nicht. Wenn die Liebe wächst, dann wachsen Erkenntnis und Erfahrung. Man könnte auch sagen, dass man am Maß der Erkenntnis Gottes und am Maß der Erfahrung mit Gott ablesen kann, wie es um die Größe des Reichtums seiner Liebe unter uns bestellt ist.
Erkenntnis der Liebe Gottes – das ist der Arbeit und der Geschichte des Hauses Bethlehem von Anfang an eingeschrieben. Wenn die Erkenntnis Gottes zunimmt, dann wächst auch das Wissen darum, was die Menschen umtreibt und was sie brauchen. Die Not der armen Kinder ist in Karlsruhe nicht mehr so dramatisch wie noch zu Zeiten der Industrialisierung. Aber Nöte gibt es schon. Arme Kinder sind noch immer benachteiligt. Sie haben weniger Teilhabemöglichkeiten und Lebenschancen als reiche Kinder. Und die Armut in den Herzen und Seelen ist nicht kleiner geworden, auch wenn es uns materiell besser geht: Was dem Leben Sinn gibt, was Kraft zum Durchhalten schenkt, was uns Hoffnung gibt – das kann man mit Geld nicht bezahlen.
Die Schwestern wissen, was in der Welt los ist. Genauso wie die Lehrkräfte, die heute hier Erzieherinnen und Erzieher für unsere Kitas ausbilden. Genauso wie die Schwestern und Brüdern in den Gemeinden unserer Stadt. Genauso wie die Christenheit weltweit. Der Geist Gottes gibt ihnen und uns Anteil an der Erkenntnis Gottes. Wir werden mitgenommen in die Dynamik, in das Wachstum der Liebe Gottes. Es ist ein wichtiger Teil der Erkenntnis der Liebe Gottes, dass sie nicht kleiner wird, wenn wir sie verschenken. Sie ist in Hülle und Fülle da, für jedes Kind und für jeden alt gewordenen Menschen. Sie ist da für die in den Palästen und für die in den Hütten und an den Zäunen. Sie ist sogar da für die, die von der Liebe Gottes nichts wissen wollen und stattdessen Hass und Zerstörung und Terror in die Welt bringen.
Wir haben auf der Landessynode den Bildungsgesamtplan beraten. Gut gebildet glauben – unter dem Stichwort wird die Bildungsarbeit in ihrer ganzen Breite und in ihrem großen Reichtum beschrieben und fortentwickelt. Dahinter steht die Einsicht, dass die Reformation auch eine pädagogische Bewegung war. Für die protestantische Theologie, für das evangelische Verständnis des Glaubens gehört wesentlich auch Wissen und Bildung hinzu. Auch hier. Es ist nicht so, dass wir von gestern sind, nur weil die Arbeit schon knapp 180 Jahre alt ist. Der christliche Glaube muss auch als Wissen weitergegeben werden um Rituale, Lieder, Geschichten, Haltungen. Die Erzieherinnen und Erzieher, die hier darin ausgebildet werden, das Wissen um den Glauben an Kinder in den KiTas weiterzugeben, gehören darum mit zum Reichtum der Liebe Gottes und tragen zu ihrem Wachstum bei.
Der Reichtum der Liebe wächst auch in der Erfahrung mit dieser Liebe. Erfahrung ist mein Dranbleiben und mein Leben im Vertrauen auf die Liebe Gottes. Es ist in der Erfahrung der Liebe aufgehoben alles, was ich mit meinem Gott erlebt habe. Die Kinder Israels sind immer wieder gescheitert und immer wieder gewachsen in dieser Erfahrung. Die christliche Kirche scheitert und wächst immer wieder in dieser Erfahrung. In der Erfahrung mit Gottes Liebe ist das Nein zu meinen Taten ebenso erinnert wie das große JA, dass Gott trotzdem und immer wieder neu zu mir spricht.
Gottes Liebe gewinnt so auch in meinem Leben an Dynamik. Sie lebt in meinem Herzen aber sie nimmt auch Gestalt an in Worten und Taten der Liebe. Es sind diese Erfahrungen, die Menschen zu Zeuginnen und Zeugen machen. Die Lehrkräfte in der Fachschule, die Diakonissen, die Menschen in den Gemeinden, hier am Ort, in den Schulen, am Arbeitsplatz. Sie alle, wir alle sind aufgrund unserer Erfahrung mit Gott solche Zeugen der Liebe und wir haben Wichtiges zu sagen: Dass Gott bei den Menschen ist. Dass die, die in Not sind, nicht allein sind. Dass die Flüchtenden und die Gestrandeten beim Kind in der Krippe angekommen sind – der Stall in Bethlehem ist seitdem Schutzraum für die Elenden und Entrechteten weltweit und zu allen Zeiten.
Am Ende hilft uns das Wachsen an Erkenntnis und Erfahrung in der Liebe Gottes zu prüfen und das Beste zu behalten. Das ist nicht die Vorwegnahme postmoderner Beliebigkeit. Es soll nicht eine Art fromme Erlebnisgier entstehen lassen: immer auf der Suche nach dem noch besseren Kick, dem noch tieferen religiösen Erlebnis, dem noch tollerem Vorbild im Glauben. Das Wachsen in Erkenntnis und Erfahrung ist ein Wachsen in die Liebe Gottes hinein. Das Beste wäre für Paulus, ganz von dieser Liebe durchdrungen, umgeben, verwandelt zu sein. Das Beste wäre für uns Christen, mit aller unserer Kraft und von ganzem Herzen diese Liebe zu teilen mit anderen: den Bedürftigen, den ebenso geliebten, den Suchenden. Das Beste wäre, darin immer bleiben zu können.
Das Beste ist, dass ich darüber keine Prüfungsangst bekommen muss und Angst, Gott zu verpassen. Denn dies alles da ist – Gottes Liebe mitten unter uns und mitten in der Welt. Jesus Christus ist derjenige, der mit aller Macht auf uns zugeht und Gottes Liebe wachsen lässt. Und wenn wir meinen, ihn zu verpassen geht er uns nach, kommt uns entgegen, lässt sich nicht abwimmeln. Sein Reich nimmt an Dynamik zu, auch wenn wir uns fühlen, als ob überall Abbruch und Abbau wäre. Die Liebe Gottes wird weiter wachsen auf seiner Welt und in seinen Menschen.
Kröten, Rubel, Bares, Flocken, Asche – Reichtum hat viele Namen. Paulus stellt den vielen Namen den einen entscheidenden Namen entgegen: die Liebe Gottes in Jesus Christus. Der reichste Mensch wäre danach doch nicht Bill Gates, sondern derjenige, der all seine Kraft und all seine Liebe auf das Wort Jesu setzen kann. Solche Menschen sind Vorbilder für mich und dich. Sie leben schon immer in der Gemeinde Jesu Christi. Auch hier.
Amen

Coypright Diakonissenhauses Bethlehem, Karlsruhe
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