Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Jahresfest-Predigten

Predigt zum 184. Jahresfest am 16. Oktober 2021

Kirchenrätin Sabine Kast–Streib, Karlsruhe

Psalm 36, 6 + 10


Liebe Hausgemeinde hier in Bethlehem, liebe Schwestern und Brüder,
„Herr Deine Güte reicht, soweit der Himmel ist – und deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen.“
Wunderbar sind wir durch den Chor der Schwestern eingestimmt worden auf den 36. Psalm, aus dem uns die Verse 6 und 10 bei dieser Jahresfestpredigt begleiten.
Der Reichtum der Güte Gottes – so wird dieser Psalm auch überschrieben.
Gottes Güte und Treue – so lautet im hebräischen Text, was Luther mit „Wahrheit“ übersetzt – feiern wir heute. Mit Musik und Gottes Wort, mit Liedern und Gebeten. Wir danken Gott, dass wir das Jahresfest in Bethlehem heute wieder in großer Gemeinschaft – präsentisch und digital – begehen können. Und Sie können hoffentlich auch auf das vergangene Jahr zurückschauen und sagen: hier hat uns Gott begleitet mit seiner Güte und Treue, da hat er uns getragen und bewahrt. Vielleicht haben Sie das im persönlichen Glauben und Erleben erfahren. Oder durch andere Menschen, die Ihnen in der Zeit der Lockdowns, in Quarantäne und Krankheit zu Engeln geworden sind, die getröstet und geholfen haben, von Gott gesandt, wie Schwester Hildegund in ihrem Ostergruß geschrieben hat: Mitbewohnerinnen und Mitarbeiter, Nachbarn, Gemeindeglieder, Familienangehörige und Freunde aus dem großen Freundeskreis von Bethlehem.

Und das Ermutigende ist: Gott verspricht, uns weiterhin zu begleiten und für uns da zu sein. Denn seine Güte und Treue haben kein Ende – sie reichen, soweit der Himmel ist und soweit die Wolken gehen. So hilft er uns, dass wir uns auch untereinander in Güte und Treue üben können.
Wenn Sie nachher nach draußen gehen, schauen Sie hinauf zum Himmel und nehmen Sie das Bild in sich auf: Wie der Himmel kein Ende hat, so auch nicht Gottes liebevolle Zuwendung. Sie umgibt uns unendlich. Dies gilt auch, wenn der Himmel des Lebens bedeckt ist und dunkle Wolken ihn überschatten. Wenn wir etwa um nahe und liebe Menschen trauern, derer wir auch heute gedacht haben.

„Herr, Deine Güte reicht, soweit der Himmel ist – und deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen.“
Das ist ihr Gebetsruf beim Mittagsgebet in der Kapelle im Diakonissenhaus. Und er geht weiter: „Bei dir ist die Quelle des Lebens und in deinem Lichte sehen wir das Licht.“

Bei der Vorbereitung für heute waren wir uns einig, dass dieser zweite Vers im Mittelpunkt der Predigt stehen soll. Kein Wunder: Nach den harten Einschränkungen durch Corona sehnen wir uns danach, dass unsere Lebensquellen wieder sprudeln und wir warme, lichtvolle Erfahrungen machen können. Vielen von uns geht es so, dass die Tage einen Grauschleier bekommen haben, dass die Seele sich müde und erschöpft fühlt. Wie schön, wenn dann wieder etwas möglich wird: das Waffelcafé im Garten, das Sie spontan im Sommer organisiert haben, die Evergreen–Schlagerparade mit den Hits der 30er bis 70er Jahre. Die Gymnastikgruppe und die Cafeteria. Die Sitzungen des Verwaltungsrates bei Tee und Canapé, in denen wir Anteil nehmen aneinander und an den Belangen des Hauses. Solche gemeinsamen Erfahrungen tun gut und wir spüren oft erst, wenn wir sie wieder haben, was wir entbehrt haben. Wie schön, wenn das Licht in den Augen wieder zu leuchten beginnt, wenn wir einander begegnen und anlächeln – und sei es hinter der Maske.
Von Gott her war dieses Licht immer da, auch wenn wir es nicht immer gespürt und gesehen haben. Als Christinnen und Christen hören wir zum Psalmvers auch die Stimme Jesu Christi, der uns verspricht: Ich bin das Licht der Welt! In meinem Licht könnt Ihr auch Licht für andere sein! Sein Licht leuchtet auch dort, wo es dunkel um uns ist, die Taufkerze steht symbolisch dafür, wie auch die Kerze, die wir zum Gedenken an unsere Verstorbenen entzünden.

Licht und Wasserquelle begleiten uns seit unserer Taufe. Mit Wasser sind wir getauft im Namen des dreieinigen Gottes, als seine geliebten Kinder. Es ist die Stärke dieser biblischen Bilder, dass sie das Alltägliche mit Glaubenserfahrungen verbinden.
So auch das Bild der Quelle: Wie dankbar sind wir jeden Tag für unser Trinkwasser aus dem Wasserhahn. Dass das nicht selbstverständlich ist, habe ich in Tansania erfahren, wo unser Sohn ein Jahr lang gelebt hat. Dort wurde jeden Abend das Wasser aus dem Brunnen gepumpt und ins Dorf getragen oder gefahren. Es war ein kostbares Gut, kein Tropfen wurde verschwendet. Das Überleben aller hing davon ab.
Wie wir Wasserquellen zum körperlichen Überleben brauchen, so brauchen wir auch Quellen, aus denen unsere Seele und unser Geist leben können.

Von solch einer lebensspendenden Quelle erzählen einige Texte im Alten Testament, der hebräischen Bibel. Die Bilder sind beim Beter des 36. Psalms tief verwurzelt: Da gibt es einen paradiesischen Strom, der von Gottes Tempel in Jerusalem ausgeht – unversiegbar – aus dem Heil und Leben fließt. Er fließt aus Gott, der Quelle des Lebens, aus der unaufhörlich klares Wasser strömt. Auf seinem Pilgerweg zum Tempel, durch Bergland und Wüste, muss dem Psalmbeter jede Wasserquelle wie ein Vorgeschmack auf diese göttliche Quelle vorgekommen sein: Sprudelndes, kühles Wasser, das über seine Hände rinnt, Körper und Seele erfrischt, neue Energie für den Weg gibt.

Wer sehnt sich nicht nach einer solchen Quelle für sein Leben? Manchmal fühlen wir uns ja eher von allen Lebensquellen abgeschnitten. Besonders erleben das Menschen, die an einer Depression oder an Burnout erkrankt sind, jedoch auch viele Trauernde und vom Schicksal Gebeutelte. Die Corona–Pandemie hat das Gefühl bei vielen Menschen verstärkt, abgeschnitten zu sein von ihren Lebensquellen, seelisch, geistlich und materiell. Auch in der Seelsorge haben wir das deutlich wahrgenommen.

Doch auch im Alltag wollen die Lebensquellen nicht immer fließen – da nehmen mir die vielen Aufgaben die Luft zum Atmen, da ist der Terminkalender dicht gefüllt, oder aber auch: es ist zu still und einsam um mich.
Da sind hier die Sorgen um Reparaturen und Sanierungen im Haus – um die Wiederbelegung von Wohnungen, wenn langjährige, liebe Bewohnerinnen und Bewohner ausziehen. Und da ist die Frage: Wie geht es weiter mit unserem Werk? Wie sieht eine gute Zukunft für das Diakonissenhaus Bethlehem aus und wie kann sein geistliches und gemeinschaftliches Profil bewahrt werden?

Aus den Worten des Psalmbeters höre ich bei allen Sorgen zunächst eine Ermutigung:
Sie ist noch da, meine Quelle des Lebens, die meine persönlichen Lebensquellen speist. Ich spüre sie nur gerade nicht, weil meine Kanäle zugeschüttet sind. Es ist wie bei jener Quelle in der Eifel, von der ich gelesen haben: sie wurde beim Wegebau zugeschüttet. Jahrzehnte später hat man sie wieder gefunden und freigelegt. Jetzt erfrischen sich Wanderer wieder daran. Das kann ein Bild für unsere eigenen Quellen sein: Sie wollen wieder entdeckt und freigeschaufelt werden. Und dazu können uns andere helfen. Dazu ermutigen Sie auch einander in Ihrer Lebens– und Glaubensgemeinschaft hier in Bethlehem.

Was sind unsere persönlichen Quellen? Wo können wir auftanken? In einer Gemeindegruppe haben wir uns einmal dazu Gedanken gemacht – zum Beispiel: Erst einmal gut essen! Wenn ich mir selbst Gutes tue, verbinde ich mich auch wieder mit Gott, der Quelle des Lebens. Andere sagten: Es ist gut ein Bibelwort zu haben, das mich trägt. Meinen Konfirmationsspruch oder Trauspruch. Oder den Gebetsruf beim Mittagsgebet.
Mich selbst stärken Lieder, die ich zum Teil seit meinem Religionsunterricht in der Grundschule auswendig kenne. Liedzeilen ploppen in meinem Inneren auf, wenn es mir schlecht geht oder ich mich im Gedankenkarussell drehe, so wie diese Woche: „Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit…“

Wenn ich Sie heute danach fragen würde, was Sie persönlich stärkt, und wir würden das einander mitteilen, bin ich sicher: Wir hätten hier eine Fülle an Schätzen.
Und wir würden auch merken: Was uns stärkt, das kann individuell verschieden sein. Der Eine braucht Ruhe, Stille, Meditation. Die Andere eher Action und Bewegung.
Denn jeden und jede von uns hat Gott anders mit eigenen Ressourcen ausgestattet.
Ein Pastor in USA hat es – gut amerikanisch – so ausgedrückt: „Gottes Design sieht für jeden Menschen anders aus. Vielleicht spricht uns Gott durch die Natur an. Vielleicht hat er uns so geschaffen, dass wir uns durch die Musik (oder, füge ich hinzu: durch den Sport) verändern lassen. Vielleicht können wir gut schweigen und beten. Oder wir lassen uns durch Bilder, Symbole und die schönen Künste ansprechen.
„Wir sollten nicht zuerst damit beschäftigt sein auszurechnen, wie viele Bibelverse wir lesen oder wie viel Zeit wir im Gebet verbringen. Wir sollten auch solche (ganz alltäglichen) Dinge nutzen, um Raum für das Wirken Gottes zu schaffen.“

Doch bei aller Individualität leben wir auch von der Gemeinschaft, in der wir uns miteinander stärken lassen. Hier beten, hoffen, glauben und singen wir, füreinander und für andere.
Wer wüsste das besser als Sie, liebe Hausgemeinschaft hier in Bethlehem?
Sie, liebe Schwester Hildegund, haben gesagt: Unsere Quellen sind die Gemeinschaft, der Glaube und das Gebet. – Die „3 G“ sozusagen.
Ihr PsalmVersikel im Mittagsgebet steht exemplarisch dafür: Der Psalmbeter vertraut auf Gottes Güte, auch wenn er Schweres erlebt. Er richtet den Blick nicht nur auf Sorgen und Probleme, sondern bewusst auf das Gute, das ihm von Gott zukommt. Die Gemeinschaft der Betenden im Tempel mag ihn darin bestärken. Sein Leben ist bedroht. Gerade deswegen schaut er umso intensiver auf die Quelle seines Lebens. Er ist durch manche Dunkelheit hindurch gegangen. Gerade deswegen will er umso intensiver auf Gottes Licht vertrauen. Seine Gegenwart und – durchaus unsichere – Zukunft legt er vertrauensvoll in Gottes Hände. Das lässt ihn dankbar werden.
Diese Dankbarkeit nehme ich auch bei Ihnen, liebe Schwestern und liebe Hausgemeinschaft hier wahr. Und Sie möchten aus der Dankbarkeit heraus etwas weitergeben davon, was Ihnen von Gott, der Quelle des Lebens, zuströmt. Durch Ihre Gastfreundschaft, durch Fürbitte und Gebet, durch geistliche und handpraktische Unterstützung derer, die im Haus wohnen oder hier gewohnt haben – und derer in der Ferne, so die von der Flut Betroffenen in Bad Münstereifel, für die Sie spenden.
„Auch kleine Quellen können Wertvolles bewirken“, haben Sie gesagt – und das tun Sie reichlich! Nicht umsonst können auch aus kleinen Quellen große Flüsse entspringen.
Es muss also nicht viel Wasser sein, um etwas bewirken zu können – aber es muss stetig nachfließen.
Auf dem Deckblatt Ihres Mittagsgebetes ist der Schalenbrunnen aus Maulbronn abgebildet: Er steht für dieses Nachfließen. Von oben her – von Gott, der Quelle des Lebens – füllt eine Schale die nächste. Nur so kann eine an die andere etwas abgeben.
Dazu möchte ich Ihnen zum Abschluss einige Zeilen aus dem Schalengebet des Kirchenlehrers Bernhard von Clairvaux lesen, das mich seit einiger Zeit begleitet:

Erweise dich als Schale –
Die Schale ahmt die Quelle nach.
Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist,
strömt sie zum Fluss, wird sie zur See.
Du tue das Gleiche!
Zuerst anfüllen, und dann ausgießen.

Habe nicht den Wunsch freigiebiger zu sein als Gott.

Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt überzuströmen, nicht auszuströmen.

Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst.
Wenn du nämlich mit dir selber schlecht umgehst, wem bist du dann gut?

Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle,
wenn nicht, schone dich.

Und – so füge ich hinzu: vertraue auf Gott, die Quelle des Lebens. Er sorgt für uns. Amen.

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